Die Überlieferung zum Ersten Weltkrieg im Bundesarchiv-Militärarchiv
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A. Die Vorgänger-Archive und der Weg des Schriftgutes
Mit Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 wurden - mit Ausnahme der Sächsischen Armee - die Truppen der Bundesstaaten der Preußischen Armee eingegliedert. Mit Gründung des Deutschen Reiches wurden auch die Verbände Badens und des südlichen Hessens eingegliedert, sodaß neben der Preußischen ab 1871 nur noch die selbständigen Armeen und Militärverwaltungen Bayerns, Württembergs und Sachsens bestanden.
Dieser Zusammenfassung auf Kommando- und Organisationsebene stand jedoch eine Zersplitterung auf Archivseite gegenüber. Für die Preußische Armee, ihre Dienststellen und Einheiten bestanden folgende Archiveinrichtungen: das 1816 eingerichtete Kriegsarchiv des Großen Generalstabes, das 1839 eingerichtete Geheime Archiv des Kriegsministeriums und das 1874 eingerichtete Archiv der Geheimen Kriegskanzlei. Hinzu kamen ältere Registraturen bei nachgeordneten dezentralen Stellen.
Sofern militärisches Schriftgut bereits im Ersten Weltkrieg den Weg von den erstellenden Dienststellen und Einheiten ins Archiv fand, ging es also bereits in Preußen zu verschiedenen Archiven ein, hinzu kamen die Kriegsarchive der Bundesstaaten Bayern, Württemberg und Sachsen. Bedingt durch die Notwendigkeit, nach Kriegsende die noch bei den Kriegsgesellschaften, sonstigen Dienststellen und Einheiten befindlichen Unterlagen aufnehmen zu müssen, entstand 1919 das Reichsarchiv in Potsdam. Bereits im Krieg, 1916, war die Kriegswissenschaftliche Abteilung beim Admiralstab der Marine entstanden, mit der Aufgabe, die operativen Akten, Log- und Kriegstagebücher der Kaiserlichen Marine zu sammeln. Hieraus entstand ebenfalls 1919 das Marinearchiv.
Die Unterlagen bis 1858 des Kriegsarchivs des Großen Generalstabes, sowie die älteren Bestände des Archivs der Geheimen Kriegskanzlei waren bereits 1918 an das Geheime Archiv des Kriegsministeriums gegangen. Während die Unterlagen ab 1859 des Kriegsarchivs des Großen Generalstabes 1919 direkt ans Reichsarchiv gingen, wurde das Geheime Archiv des Kriegsministeriums 1920 als Abteilung Berlin dem Reichsarchiv unterstellt. 1924/25 erfolgte schließlich die Abgabe der Unterlagen des Kriegsarchivs des Großen Generalstabes bis 1858, der Unterlagen des Archivs der Geheimen Kriegskanzlei bis 1874, der geschriebenen Ranglisten bis 1911, der Adelsakten bis 1920 und der übrigen Bestände bis 1867 an das Preußische Geheime Staatsarchiv, wo sie als Preußisches Heeresarchiv zusammengefaßt wurden. Die Akten der Obersten Heeresleitung, der Heeresgruppen- und der Armeeoberkommandos allgemein und die operativen und taktischen Akten auch der Einheiten des Feldheeres von den Generalkommandos bis zu den untersten Einheiten, insbesondere die Kriegstagebücher, dazu wie erwähnt die Akten des Großen Generalstabes ab 1859 und der Kriegsgesellschaften insgesamt gingen ins Reichsarchiv ein. Demgegenüber wurden die Verwaltungsakten der Generalkommandos, der Truppenteile, Intendanturen und Militärbehörden der Heimat an sogenannte Heeresabwicklungsämter, in der Regel an den Sitzen der ehemaligen stellvertretenden Generalkommandos, abgegeben. Diese dreizehn Stellen wurden 1921 als Reichsarchivzweigstellen ans Reichsarchiv angegliedert und 1925/26 in den Reichsarchivzweigstellen Stuttgart (für Württemberg und Baden), Dresden (für Sachsen) und Spandau (für Preußen), sowie im Bayerischen Kriegsarchiv in München zusammengefaßt. Die Reichsarchivzweigstelle Spandau (bis 1930 noch mit Außenstellen in den Staatsarchiven Breslau und Münster) wurde 1935 ebenso wie die Abteilung Berlin ins Reichsarchiv übernommen. Nachwievor selbständig verblieb das Zentralnachweisamt für Kriegerverluste und Kriegsgräber in Berlin, das die Ranglisten und Stammrollen der Preußischen Armee von 1914 bis 1920 verwahrte und dem Reichsministerium des Innern unterstand.
Im Jahr 1936 wurde schließlich das militärische Archivwesen des Heeres zusammengefaßt. Die neue Heeresarchivverwaltung wurde geführt durch den Chef der Heeresarchive und unterstand dem Generalstab des Heeres. Das preußische Heeresarchiv in Potsdam war dabei zuständig für das Schriftgut sowohl der Preußischen Armee, als auch des deutschen Heeres ab 1921. Es vereinigte die militärischen Bestände des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und des Reichsarchivs. Als rein historische Archive traten 1937 hinzu die Heeresarchive München, Stuttgart und Dresden, 1938 das Heeresarchiv Wien, 1939 die Heeresarchivzweigstelle Prag und 1940 die Heeresarchivzweigstelle Danzig.
Demgegenüber wurde das Marinearchiv in Berlin 1936 lediglich erneut umbenannt in Kriegswissenschaftliche Abteilung der Marine. Das Archiv war hier an die Forschungseinrichtung angeschlossen und verwahrte zunächst ausschließlich die Unterlagen aus dem Ersten Weltkrieg, erst ab 1940 gingen hier insgesamt Abgaben aus der Zeit vor 1914, sowie der Reichs- und Kriegsmarine ein. Im Jahr 1944 erfolgte die Verlegung nach Schloß Tambach bei Coburg.
Die neugeschaffene Luftwaffe richtete sich 1936 in Berlin ein eigenes Luftarchiv bei ihrer Kriegswissenschaftlichen Abteilung ein und zog in dieses aus der Zeit vor 1918 auch die Unterlagen der Luftstreitkräfte der Preußischen und Bayerischen Armeen und zum Teil auch der Marineluftstreitkräfte ein.
[Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß auch die Waffen-SS 1940 eine Kriegswissenschaftliche Forschungsabteilung in Oranienburg einrichtete, die 1941 nach Schloß Zasmuky in Böhmen verlegt wurde und ab 1944 als Kriegsarchiv der Waffen-SS firmierte. Darüberhinaus wurde für das Schriftgut des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes das Archiv der Wehrwirtschaftsdienststellen in Muskau eingerichtet.]
In der Folgezeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu erheblichen Verlusten an militärischem Archivgut, wie auch Schriftgut militärischer Provenienz insgesamt. Die unmittelbar vor der Kapitulation befohlenen Selbstzerstörungenen, angeordnet von dem 1942 eingerichteten Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung, betrafen zunächst das noch bei Einheiten und Dienststellen befindliche Schriftgut, nur zum Teil auch Archivgut aus dem Ersten Weltkrieg. Luftwaffe und Waffen-SS setzten diesen Befehl sehr gründlich, das Heer weitgehend, die Kriegsmarine hingegen gar nicht um. Im Luftarchiv wurden vor allem die neueren Unterlagen vernichtet, die älteren Bestände blieben weitgehend erhalten.
Bereits zuvor war allerdings Archivgut vor allem kriegsbedingt zerstört worden. Noch 1942 kam es zu einem Brand in der Kriegswissenschaftlichen Abteilung des Heeres, von dem allerdings kein älteres Schriftgut betroffen war. Im Frühjahr 1945 gingen jedoch bei einem Luftangriff auf Berlin, der auch das Zentralnachweisamt traf, die Rang- und Stammlisten von 1914 bis 1920 verloren. Erhalten blieben hier nur die der Bayerischen Armee, die bei einer im Bayerischen Kriegsarchiv in München angesiedelten Zweigstelle des Zentralnachweisamtes aufbewahrt wurden. Neueres Schriftgut, auch der Kriegsmarine, wurde zum Teil bei anderen Luftangriffen noch in den Registraturen der Dienststellen vernichtet. Die größten Verluste an älterem Schriftgut entstanden jedoch durch den Brand des Preußischen Heeresarchivs beim Luftangriff auf Potsdam im April 1945. Dabei wurde die preußische militärische Überlieferung fast vollständig vernichtet, mit betroffen wurden auch große Bereiche des bereits ins Heeresarchiv abgegebenen Schriftgutes von Wehrmacht und Heer.
Der Sachstand der Überlieferung des militärischen Schriftgutes aus der Zeit des Ersten Weltkrieges ist damit folgender:
Die Überlieferung der Preußischen Armee ist weitgehend vernichtet. Erhalten sind nur Splitter, bestehend aus geretteten Resten, zum Zeitpunkt des Brandes anderweitig ausgeliehenen Einzelstücken, Doppelstücken amerikanischer Kopien, die in den 1920ern von den USA erstellt worden waren und zum Zeitpunkt des Brandes bereits ausgelagerte Unterlagen.
Die Unterlagen der Luftstreitkräfte der Preußischen Armee bilden innerhalb der Gesamtunterlagen der Preußischen Armee den größten Anteil. Die Unterlagen der Bayerischen Luftstreitkräfte befinden sich in München.
Schriftgut der Schutztruppen, des Ostasiatischen Expeditionskorps, bzw. der Ostasiatischen Besatzungsbrigade und des Reichsmilitärgerichts ist nur noch in geringen Resten vorhanden.
Einzig die Überlieferung der Kaiserlichen Marine ist beinahe vollständig vorhanden, hier fehlen nur Akten, die im Zuge der Revolution 1918 vernichtet wurden. Über weite Strecken hinweg kann sie auch zumindest teilweise und auf übergeordneter Ebene als Ersatzüberlieferung dienen. Vor allem deckt sie nicht allein militärische, sondern auch wirtschafts-, technik- und kolonialgeschichtliche Bereiche ab.
B. Die überlieferten Bestände
Eine Auflistung aller Bestände mit Beschreibung und Angabe von Laufzeiten und Umfängen ist auf der Internetseite des Bundesarchivs (
www.bundesarchiv.de) unter „Beständeübersicht online“ zu finden. Grundsätzlich ist anzumerken, daß die Verluste bei den Unterlagen der Preußischen Armee am spürbarsten bei den zentralen Stellen sind. So sind etwa vom Militärkabinett nur 35 Akten überliefert. Und auch wenn sich 801 Akten vom Preußischen Kriegsministerium und 1006 Akten vom Großen Generalstab nach einem respektablen Umfang anhören, muß dies doch verglichen werden mit 2919 Akten der Kaiserlichen Admiralität und 2034 Akten des Kaiserlichen Marinekabinetts(beide bei erheblich kürzerer Laufzeit) oder gar den 24.181 Akten und etwa 10.000 Zeichnungen und Plänen des Reichsmarineamtes. Ausgehend von diesen Relationen kann der Umfang des Verlustes erahnt werden. Daher läßt sich vieles am militärischen Geschehen des Ersten Weltkrieges anhand amtlicher Unterlagen nicht mehr direkt erschließen. Es kann dies mittels der nach dem Ersten Weltkrieg im Reichsarchiv anhand der damals noch vorhandenen Unterlagen erstellten Ausarbeitungen zum Kriegsgeschehen naturgemäß nicht völlig ausgeglichen werden. Gleichwohl ist die Spannbreite des vorhandenen Materials ebenso wie sein Umfang keinesfalls zu vernachlässigen. Auch bei den Unterlagen der Preußischen Armee gibt es einzelne sehr reichlich dokumentierte Bereiche (s. Beständeübersicht im Internet). Die erwähnten Unterlagen des Großen Generalstabes und des Kriegsministeriums sind natürlich, auch wenn sie stark reduziert sind, Kernstücke der Überlieferung.
Wie schon angeführt, dienen die sehr reichlich vorhandenen Unterlagen der Kaiserlichen Marine über weite Strecken auch als Ersatzüberlieferung, bzw. als Ergänzung zur lückenhaften Überlieferung der Armee. Gerade in den Unterlagen der obersten Marinestellen finden sich eben nicht nur Marinebetreffe, sondern auch Aspekte der Gesamt-Kriegsführung wie auch der politischen und sozialen Lage. Mitunter empfehlen sich hier Einblicknahmen selbst bei primär nicht marine- oder seekriegsgeschichtlichen Fragestellungen.
Anzuführen ist an dieser Stelle die hohe Bedeutung der entsprechenden Unterlagen der ehemaligen Kriegsarchive Bayerns, Sachsens und Württembergs, heute aufbewahrt in den Hauptstaatsarchiven München, Dresden, Stuttgart und dem Generallandesarchiv Karlsruhe. Insbesondere auf die Bedeutung des Kriegsarchivs des Bayerischen Hauptstaatsarchives in München im Hinblick auf Empfängerschriftgut preußischer/kaiserlicher Herkunft sei hier verwiesen.
Neben den gewöhnlichen Akten sind im Marinebereich noch eine Vielzahl von technischen Zeichnungen vorhanden. In unterschiedlicher Form und Größe, von verschiedener Detailtiefe und Qualität sind von der Masse der Schiffe und Boote der Kaiserlichen Marine Pläne und Zeichnungen vorhanden. Vereinzelt liegen auch Vorkriegs-Zeichnungen von Befestigungsanlagen vor.
Nur in geringem Umfang sind Plakate und amtliche Aushänge vorhanden. Hierfür muß auf die weit reichhaltigeren Bestände der Abteilung B des Bundesarchivs in Koblenz und die dortige Plakatsammlung verwiesen werden. Dasselbe gilt für Photographien. Hier ist an die Bildsammlung im Bundesarchiv in Koblenz zu verweisen, das Militärarchiv verfügt nur über einige wenige untrennbar mit den Beständen verbundene kleine Bildsammlungen und in den Nachlässen einige Photoalben.
Anzufügen ist an dieser Stelle, daß neben dem staatlichen Schriftgut auch zahlreiche Nachlässe vorhanden sind, die in Anbetracht der starken Schriftgutverluste wervolle Ergänzungen darstellen. Hierfür sei auf die „Zentrale Datenbank Nachlässe“ auf der Internetseite des Bundesarchivs (s.o.) verwiesen.
Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit vor 1918 finden sich im Militärarchiv nur sehr wenige und allgemein muß für derartige Interessen an das Krankenbuchlager in Berlin verwiesen werden. Nur ein geringer Teil der dort verwahrten Krankenunterlagen wurde bisher an das Militärarchiv abgegeben. Auskünfte über Verluste und Zugehörigkeiten zu bestimmten Einheiten kann das Militärarchiv nicht erteilen.
Der Zugang zu den Unterlagen aus dem Ersten Weltkrieg unterliegt keinerlei Restriktionen, es gibt keinerlei irgendwie gesperrtes Material. Wie auch anderswo üblich, ist lediglich eine Anmeldung etwa drei Wochen vorher nötig, um einen Arbeitsplatz reservieren zu können.
Findmittel verschiedener Art erleichtern den Benutzern im Lesesaal das Aufspüren relevanter Signaturen, die Vorab-Recherche zuhause in der Internet-Beständeübersicht ermöglicht eine gezielte Vorbereitung und bei Schwierigkeiten stehen die Facharchivare natürlich mit ihrem Rat zur Verfügung.
Dr. Thomas Menzel
Bundesarchiv-Militärarchiv